Bericht 
Jahresschau des Kunstvereins ART-Projekt in der Klostermühle eröffnet
  
19.05.2010
D 27305 Bruchhausen-Vilsen
Ausstellung

„Metamorphose (Umwandlung)“
Laudatio zur Ausstellung in der Klostermühle in Heiligenberg am 12. 05. 10

Stichworte: Metamorphose (aus dem griech. – die Gestalt betreffend) = nicht erbliche Gestaltvariation (d.h. nicht angeboren, sondern erworben durch Umwelteinflüsse)

Eine spontane nicht ganz ernst zunehmende Begriffsbestimmung
Erlauben Sie mir eine spontane nicht ganz ernst gemeinte Begriffsbestimmung:
Ich hatte eine Tante, insgesamt hatte ich neun, aber diese eine hieß Meta. Eine hagere Frau, immer atemlos kam sie 1946 die drei Treppen in unsere Wohnung hochgehechelt, am Harburger Hafen an der Süderelbe, in dem im Parterre die Hafenkneipe „Kap Horn“ war. Mit dem Asthma-Inhalier-Püster stand sie dann in der Küche und japste nach Luft und zausterte dennoch munter drauf los. Die Haare rechts und links aufgesteckt zu einer Rolle und im Nacken einen kleinen Knust – so nannten wir den spärlichen Haarknoten, mit dem Kopftuch drum herum bekam der ganz Kopf ein viereckiges Format aus dem eine spitze Nase, wie der Schnabel eines Raubvogels herausstach.
Wenn sie dann eine halbe Stunde später Kopftuch und Mantel abgelegt hatte und mit einer Tasse heißen Kaffe vor sich – meist Bliemchen, selten Bohnenkaffee – im Sofa saß, verwandelte sie sich in eine freundliche Tante, die nur noch wenig von einem hackenden aufgeregten hektischen Raubvogel hatte. Eine – ich zitiere aus meinem Lexikon – Metamorphose: nicht erbliche Gestaltvariation, d.h. nicht angeboren, sondern erworben durch Umwelteinflüsse.

Damit habe ich das Thema dieser Ausstellung schon umrissen oder eingekreist, je nach Position des Betrachters der Exponate oder des Hörers meiner Rede. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, ob Sie sich als Aktiver – ich meine, als Künstler/in, innerhalb des Kreises befinden, oder als Passiver, d.h. Betrachter/in von außen schauen.
Und ein Zweites ist damit schon klar. Metamorphose heißt nicht angeboren, sondern erworben. Meine Tante Meta ist keineswegs als zausternder Luftschnappender Raubvogel auf die Welt gekommen, sondern sie hat sich diesen „Look“ – so heißt das wohl neudeutsch – durch Umwelteinflüsse erst erworben. Und zu den Umwelteinflüssen gesellt sich immer eine gehörige Portion Innwelteinfluss; ich meine den eigenen Verantwortungsbereich.
Zusammengefasst: Niemand ist ganz sich selbst, gewissermaßen aus sich heraus, das was er ist; und niemand ist nur das Ergebnis der Umwelt. Um es ganz scharf zuzuspitzen: Bei allen Bedrängnissen von außen, positiver und negativer Art bleibt ein Rest (ein erheblicher) persönliche Verantwortung für das eigene Tun und Sein.
So ist auch jeder Künstler, der sich dem Thema dieser Ausstellung „Metamorphose“ ausgesetzt hat, auch für das Ergebnis seiner Arbeit eigenverantwortlich und kann sich nicht hinter akademischen Formulierungen oder Stimmungen des Zeitgeistes verstecken (der in Wahrheit gar nicht so modern ist, wie er tut) und auch sich nicht mit dem Trend herausreden. (Was alles trendy ist, meine Güte)
Das will der Künstler ja auch gar nicht. Er möchte schon die Tür zum Vorhof seiner Seele ein wenig öffnen; das ist er seiner Eitelkeit schuldig. (Das gilt übrigens auch für Laudatoren). Aber er will auch nicht gleich bis in den letzten Winkel seiner Seele schauen lassen. Deshalb reißt er nicht die Fenster weit auf, sondern nur die Tür einen Spalt breit und hängt noch einen Schleier darüber, den wir Kunst nennen. Und durch diesen Spalt, verhängt mit Tüll, bietet er seine Botschaft dar. Die hier und heute eine nicht angeborene erbliche Gestaltvariation ist, sondern eine erworbene, eben eine Metamorphose.
Die Variation der Gestalt – des Kunstwerkes – ist natürlich vorher bestimmt durch das Material und die Technik der künstlerischen Bearbeitung. Mit Pinsel und Farbe, Stift und Papier lässt sich weitaus freier variieren, als mit Stein und Meißel. Collagen aus allem was diese Zeit und Gesellschaft bietet, besonders mit dem, was sie wegwirft, lässt sich ein verschleiertes Werk schaffen, das häufig schon durch seine Auswahl besticht. Metamorphose – Gestaltvariation?
Die Sprach-Jongleure sind wohl die freiesten in diesem Konzert, weil sich ihre Bewortung nicht konkret anschaubar, betastbar überprüfen lassen muss. Ihre Kunst, wenn Sie denn Poeten und Autoren dazu zählen wollen, vollzieht sich in der Vorstellungskraft der Leser oder Hörer.
Meine Worte sind in wenigen Minuten verhallt, Ihre Werke stehen da: konkret sichtbar, anfassbar, unveränderlich.
Wir, die Betrachter haben es mit dem Ergebnis der Metamorphose - der Umwandlung zu tun, nicht mit dem Prozess. Der gehört dem Künstler/in allein.
Diesen nicht angeborenen, sondern durch Umwelteinflüssen erworbenen Gestaltvariationen will ich mich jetzt zuwenden. An einigen Beispielen – wie es meine Art ist – überlasse ich mich der Metamorphose, der Umwandlung und lade Sie ein mit zu kommen.

Noch ein Gedanke dazu.
Wenn wir hier auf einem Therapie-Seminar der Psycho und Sozial-Akteure wären, würde ich von den Variationen meiner Patienten erzählen, die ihr Leben durch erworbene Umwelteinflüsse zunächst zerstört und dann aber auch neu gestaltet haben, und nicht wenige von ihnen aus der abstrakten verschwommenen Vorstellung die konkrete Zielsetzung entwickelt haben. Wollte ich philosophische oder gar theologische Gedanken einbeziehen, die den Blick auch für die spirituelle Weite einer überirdischen Kraft einbezieht, die zu konkreten Veränderungen des Alltags führt, würde ich die „Verlorene Mitte“ von der Erhardt Kästner spricht, als Grund für die Verworrenheit in den Variationen in der Lebensgestaltung ausmachen und wäre wieder bei unserem Thema: „Metamorphose“
Bei der Vorbereitung auf diese Laudatio ist mir bewußt geworden, welcher Tiefe des Menschseins in allen seinen Gestaltungs- und Bewältigungsstrategien des Lebens Sie sich mit der Bearbeitung des Themas genähert haben. Ich kann das nur andeuten und will mich nun tatsächlich auf den Weg in die Tiefe Ihrer Kunstwerke machen, nicht ohne Ihnen meinen Dank und Respekt auszusprechen, dass Sie mir erlauben, den Schleier der Kunst vor der Tür Ihrer Seele ein wenig beiseite zu schieben, nur ein wenig und nur für mich.Vielleicht mögen Sie mir folgen.

Daphne: das bedeutendste Motiv für das Thema : „Metamorphose“.
Die Tochter der griechischen Erdgöttin Gäa, die von dem schönen Apoll bedrängt wird – vielleicht würde man ihm heute wegen Stalking einen Prozeß machen. Aus Sorge, dass er ihrer Tochter etwas antun könnte, noch schlimmer, sie ihm erliegen könnte – was in solchen Kreisen nicht auszuschließen wäre – verwandelt die Erdgöttin Gäa ihre Tochter Daphne in einen Baum oder Strauch, andere Autoren behaupten sie, Daphne selbst habe Peneus um die Verwandlung gebeten.
In Olympia – wir waren dort, in Hellas – steht an einer Straße, fast wie ein Chausseebaum eine in Verwandlung befindliche Daphne. aus Armen und Haupt wachsen die Äste und Zweige. Die Beine entwickeln die Struktur eines Stammes. Ich habe lange davor gestanden und überlegt, ob dieses Bild nicht für die Menschheit insgesamt von Bedeutung ist.
Fest verwurzelt im Erdreich, strebend nach himmlischen Höhen und mittendrin – gewissermaßen auf dem Wege – die Lüste und Begierden, die Hoffnungen und Freuden irdischen Daseins, die schließlich so bedrängend und beängstigend werden, dass man nur noch in der Umwyndlung in eine natürliche Pflanze den Ausweg sieht. Ich finde, ein herrlicher Gedanke, geradezu eine theoligische Variante, vielleicht sogar Perspektive des Glaubens mit der Schöpfung und seinem Schöpfer wieder vereint zu sein.

Sehen Sie nur dort: Nadya Hauswald’s Paar:
Bedrohlich und bedrängend der schöne Apoll. Abwehrend und zugetan Daphne. Der Zwiespalt zwischen Wollen und Abwehren? Und schließlich sich dem Ratschluß der Götter überlassend. Oder Heinz Hugel erotisch, verführerisch mit einem Stierkopf, der zurück weichen lässt.
Und Gert Schröder, der seine Daphne. „Flucht und Verwandlung“ genannt hat. Wenn es denn überhaupt eine Daphne ist, aus deren Erdverbundenheit die Pflanzentriebe wachsen, um sie einzuschließen.
Daphne, keineswegs ein Thema der Antike, sondern hochmodern. Was unternimmt der Mensch des 21. Jahrhunderts nicht alles, um seine Triebhaftigkeit zu verschleiern und zu verhüllen, seine Menschlichkeit zu verstecken hinter materiellem Gewinnstreben, eben Wachstum, und dahinter weinend, ob der verlorenen Menschlichkeit oder gar Göttlichkeit, die ihm bei der Schöpfung ja zugedacht war. Müßten wir vielleicht alle Daphne heißen?
Vor der „Metamorphose“ von Klaus Fitting, ein am Wege gefundenes Motiv, vom Künstler sauber ins Bild gesetzt, vor dieser Naturerscheinung, die spirituelle hintergründige Botschaften mitteilt bleibe ich bei meinen kleinen Rundgang durch die Metamorphose von ArtProjekt stehen und höre auf die Stimme meiner Seele.

Und wer nun noch mag, lasse das „Zweite Gesicht“ von Elisabeth Fitting oder das „Andere Ego“ von Gert Schröder auf sich wirken.
Zur Eröffnung der Gespräche und zum Abschluß meiner seelischen gedankenreise oder gedanklichen Seelenreise biete ich Ihnen drei Aphorismen an

1. Frei nach Goethe
Zwei Seelen ach, hab ich in meiner Brust,
die eine voll Trauer, die andre voll Lust;
hier schwarz, Schmerz und Trauer, schuldvolle Not,
dort heitere Farben, gesegnet von Gott,
die Hoffnung des Lebens im irdischen Frust.

2. Haiku
Schwarz oder bunt der Blick
nach unten oder gradaus
Menschsein heißt Beides

3. Schlußwort
Dornen in Rosen
verwandelt jeden Tag neu
in mein Ich diese zwei
Metamorphosen

Kurt H. Möller Freistatt 13. 05.2010