Bericht 
Vernissage :The way we see it: im Schloss Landestrost
Ausstellungseröffnung der Fotografen Christine Steyer und Jürgen Strasser und dem Bildhauer Wolfgang Gido
  
28.07.2017
D 31535 Neustadt
Ausstellung

Eine besondere Kombination an Kunstgattungen und deren künstlerische Vertreter wurden von Dr. Rainer Beßling anlässlich der Vernissage zur Ausstellung "The way we see it" im Schloss Landestrost zu Neustadt vorgestellt. Die Vorsitzende des örtlichen Kunstvereins, Rita Steinbach-Spenhoff, hatte dazu die beiden Fotografen Christine Speyer und Jürgen Strasser sowie den Bildhauer Wolfgang Gido eingeladen.

Nachfolgend die Laudatio von Dr. Rainer Beßling (es gilt das gesprochene Wort):


„Wie wir es sehen“: Eine Fotografin und ein Fotograf, auch privat sind sie ein Paar, zeigen Fotografien von Landschaften. Ergänzt wird die Ausstellung durch Skulpturen des Gastes Wolfgang Gido, auf die ich am Schluss zu sprechen kommen werde. Jürgen Strasser lebt in Worpswede, Christine Steyer hat mit ihm neben anderen Regionen den legendären Landstrich um Weyerberg, Teufelsmoor und Hamme mit der Kamera besucht. Beide kommen sich in ihren Vorlieben für bestimmte Motive sehr nahe. Dennoch unterscheiden sich ihre Blicke, vor allem ihre künstlerischen Konzepte. Wir begegnen buchstäblich „Fotografie im Dialog“. Wir treffen dabei auf zwei Positionen, die sich in der hier inszenierten Gegenüberstellung umso deutlicher in ihren Eigenheiten präsentieren. Der Vergleich schärft bekanntlich den Blick für die Spezifika der einzelnen Haltungen. In Korrespondenz und Kontrast treten die jeweiligen Charakteristika umso markanter hervor.

Schon im fotografischen Verfahren unterscheiden sich Jürgen Strasser und Christine Steyer. Setzt die eine auf die Kräfte der Chemie in einem dezidiert historischen analogen Ansatz, nutzt der andere rechnerbasierte Transformationen und Modulationen um zu den gewünschten Bildergebnissen zu gelangen. Schon in diesen verschiedenartigen Verwendungen der Technik spiegelt sich ein grundsätzlicher Unterschied in der kompositorischen Haltung: Während Strasser die volle Verfügungsgewalt über das Bild behalten will, gibt Steyer ihre gestalterische Steuerung in Teilen an die stofflich bedingte Eigendynamik der fotografischen Entwicklung und an den Zufall ab. Während Strasser in der Serie die ästhetische Konzeption entfaltet, setzt Steyer ausdrücklich auf das einzelne Bild, das in seinen Überblendungen und seiner Kolorierung eine jeweils eigene neue magische Welt erstehen lässt, die es so vorher nicht gegeben hat. Poesie wird sichtbar gemacht und behält doch ihr Geheimnis. Steyers finaler kompositorischer Zugriff liegt in der Auswahl einer letztgültigen Abzugsvariante, wobei sie sich gern von der Selbsttätigkeit des Verfahrens überraschen und überreden lässt.
Die ersten Blickresultate legen nahe, dass sich Strasser mit einem analytischen, kalkulierten, tendenziell kargen Zugriff und in strukturierenden Klärungen dem Landschaftsthema nähert, während Steyer Atmosphärisches und Erzählerisches auf sich wirken lässt, die Sinne und Empfindungen in Stellung bringt. Während Steyer in ihren Cyanotypien die Farbe Blau zur intensivierenden Auskleidung stimmungsvoller Szenerien einsetzt, macht sich Strasser auf die Suche nach einem landschaftlichen Farbcode, einem Spektrum, welches das Farbschema des Landschaftsbildes bündelnd und generalisierend wiedergibt.
Während die Fotografin die subjektive Rezeption einer spezifischen, individuell empfundenen landschaftlichen Situation in den Blick rückt, fahndet der Fotograf nach einer objektivierten Formel, wobei seine Flächenformationen durchaus auch die Anmutung einer einzigartigen individuellen Topographie besitzen. Das Antlitz der Landschaft kann ja umso markanter erscheinen, je mehr man es von Blick verstellenden Nebensächlichkeiten befreit. Mit der Wahl der Verfahrens und damit der Steuerungsmöglichkeit verbinden sich auch differierende Haltungen bei dem Gang vor das Objekt. Während Strasser die finalen Bilder häufig bereits vor der Wahl des Motivs im Kopf hat, lässt sich Steyer von der jeweiligen Eigenart des Gegenstands leiten. Dazu zählt neben einer schwer beschreibbaren Aura der jeweiligen visuellen Situation ein narrativer Gehalt.

Die von Steyer bevorzugten Gegenstände und Geschehen besitzen häufig eine Geschichte, sind buchstäblich vielschichtig oder anschlussfähig für narrative Elemente, wobei ein erster formaler Zugang geebnet wird, der ein Blick schärfendes und Assoziationen beflügelndes Portal ins Bild baut. Wenn sie den Blick auf eine Lichtung wirft, in der ein potenzieller Schauplatz ausgeleuchtet erscheint, dann verklärt und verdichtet die Fotografin zugleich die Magie und Mystik des Waldes, der ebenso lockt wie schreckt. Der Sog des Anderen, mit dem eine vermeintlich naturbelassene Waldlandschaft lockt, wird geradezu greifbar. Der Betrachter des fotografischen Bildes erspürt die Unbehaustheit der Region als Zusammenspiel von Anwesenheit und Abwesenheit, als Spannung generierende Pause eines Geschehens, das sich auszumalen die Szene ebenso subtil wie offensiv auffordert.

Auch in Fotokompositionen, die eine Gruppe von Wandernden in verschiedenen Landschaften zeigt, eröffnet sich ein Blick auf die Zwischenräume, auf die Zonen der Begegnung zwischen den Suchern nach der „Blauen Blume“ und den Bezirken des Freien, Fernen und Natürlichen. Wohin der Mensch seinen Fuß setzt in der Hoffnung auf Erfahrung des Eigenen in der Erkundung des Anderen, da finden sich bereits Spuren vergangener Kulturen und Generationen, Abdrücke von Schicksalen und Geschichten. Die tiefe Empfindung dieser eingegrabenen Erzählungen lässt uns Steyer in der Farbe der Ferne und der Romantik, im Kolorit des Transzendenten und Transitorischen miterleben. Ihre fotografisch inszenierten Palimpseste bauen Brücken über Generationen und Epochen sowie auch über verschiedene Wahrnehmungsschichten, in denen sich die spezifischen Perspektiven der jeweiligen Zeiten niedergeschlagen haben.


Wie intensiv Steyer einem visuellen Eindruck nachspürt, verdeutlicht eine Anekdote, die ihre initiale Begegnung mit dem Thema Licht und dem ästhetischen Kosmos der Cyanotypie schildert. Im Studium mit dem bildnerischen Stoff und Thema Licht als Arbeitsauftrag befasst, fing sie zufällig Lichtreflexionen auf der Folie eines Bauzauns auf und sah darin eine ästhetische Herausforderung. So entstanden ihre abstrakten Lichtspiele in Blau, die eigentlich gewendete Schattenspiele sind, inszeniert in modellhaften Räumen, in denen Immaterielles zum bildnerischen Stoff werden konnte, in denen Lichtspuren Gestalten ausbildeten, die in tänzerischen Anmutungen und schwebenden Tauchern Brücken zur realen Welt bauen und dennoch ein abstraktes Eigenleben besitzen. Darin tritt Bewegung als Raum greifendes und Raum definierendes Prinzip auf, Licht wird zu einem zeitlichen Ereignis, das zugleich eminent skulpturale Qualitäten besitzt. Das bildreiche Eigenleben der Gegenstandslosigkeit eröffnet zahlreiche Assoziationsräume, die vom Walten nebelhafter Welten über anmutige Körperbewegungen bis zur Topographie von dynamischen Lichtgebirgen reichen. Das Blau schafft einen sphärischem Kosmos, in dem Grenzen niedergerissen und Gravitationskräfte ausgehebelt wirken. Hier scheinen das Gefühlte und das Gedachte über die Physik zu regieren, hier bildet der Lichtstrahl die Achse allen Geschehens. Die unsichtbaren Wellen des Lichts und der Farbe stellen sich in ihrer eigenen Wirklichkeit vor als Fundament des Visuellen.

Strasser zielt in seinem eher induktiven Verfahren formal auf eine abstrahierende Klärung. Eine das Landschaftsbild des Nordens bestimmende Schichtung mit markierender Horizontlinie und einem Farbspektrum zwischen ideellem aufwärts strebendem atmosphärischem Blau und materiellen Erd-, Sand- und Feldtönen erscheint reduziert auf ein Linien- und Flächengeschehen. In seiner fotografischen Recherche identifiziert Strasser eine Typologie des Landschaftsbildes und seiner Wahrnehmung. Prototypen von Landschaft korrespondieren mit Ideen von Landschaft.
Koloristische Spezifika, die sich aus pflanzlichem Bewuchs ergeben, werden häufig als zusätzliches Feld in die landschaftliche Schichtung aufgenommen, wodurch sich ein ebenso abstrakter wie volltönender Klang ergibt, der die Topographie kennzeichnet. Dieser Klang erhält eine bestimmte reliefartige Oberflächenstruktur aber auch eine Tiefe, indem Unschärfen in das Bild einziehen. Die visuellen Details des Landschaftsbildes werden eingeebnet, um die Gesamterscheinung, um den mal stimmigen, mal eher dissonanten Akkord aufzurufen, den die Topographie anschlägt.


Diese Unschärfe, die wir nicht erst seit Gerhard Richter als Intensivierung des Blicks zu lesen gelernt haben, fügt ein malerisches Element in Strassers Bild- und Blickfeldformationen ein, das in einem Spannungsverhältnis zu seinem analytischen Bildzugang liegt. Mit der Unschärfe gelangt eine Offenheit in das Bild, die den Betrachter zu einem wichtigen Co-Autor der Komposition befördert. Mit der Unschärfe rangiert das Sensitive höher, das Motiv wird von inhaltlichen Konventionen wie auch Einschleifungen im Betrachtungsmodus befreit und neu zur Disposition und Wahrnehmung gestellt. Das Auge des Betrachters wird einem Akt der Auffrischung gleich auf die energetischen Kräfte der Form- und Farbszenerie justiert.

So besitzen Strassers Landschaftsstrukturen in ihrer häufig malerischen Anmutung dann doch ein erhebliches Maß an Individualität, Subjektivität und Sensualität, das sie in dieser Hinsicht zumindest in die Nähe von Steyers Kompositionen rücken lässt. In der Reduktion auf Farb- und Flächenwerte, bisweilen auch auf grafische Geflechte in der Wiedergabe von Pflanzenbündeln richtet der Fotograf den Blick des Betrachters auf die fundamentalen Sinnesreize aus, die häufig bei einer inhaltlichen kognitiven Lesart verstellt beziehungsweise nicht bewusst werden. In Strassers Moorwald-Serie schaffen Abstraktion und Unschärfe eine geradezu hochintensive Begegnung mit den sensitiv, ja geradezu körperlich zu erfahrenden Charakteristika des Gehölzes, mit seiner gitterhaften, konstruktiv wirkenden und doch organisch entstandenen Struktur, mit seiner Undurchdringlichkeit, seiner Abwehrgeste und potenziellen Ungastlichkeit, mit einer Willkür in der Ordnung, die bekanntlich durch eine Kommunikation der Stämme untereinander wie durch ihren Wettstreit um das Licht geregelt wird.

Ergänzt wird der fotografische Dialog zum Landschaftsthema durch skulpturale Arbeiten von Wolfgang Gido. Der Bildhauer arbeitet seinem Medium gemäß vor allem zum Thema Körper und Körperlichkeit. Anders als etwa in den Spurensuchen von Christine Steyer ist hier die Leiblichkeit direkt präsent. Nicht der virtuell ausgeleuchtete Raum einer Behausung oder Heimatsuche steht im Vordergrund, sondern der vom skulpturalen Körper besetzte Raum. Insofern ergänzen sich die ausgewählten Positionen gut zu einem vollständigen Raumerlebnis, in dem die flächigen Wandarbeiten mit den plastischen Arbeiten in Korrespondenz treten.

Auch wenn Gido in vielen seiner Werke figürlich arbeitet, ist ihm abstrahierende Verbildlichung nicht fremd. Häufig sind es bestimmte Lebenskategorien oder Wesensprinzipien, gesellschaftliche oder politische Fakten und Formationen, die ihn zu skulpturalen Formulierungen anregen.
Auf der Einladungskarte abgebildet, greift die Arbeit „Treibkraft“ eine energetische Bewegung auf, die der Künstler aus dem permanenten gemeinschaftlichen Daseinskampf auch oder gerade der vermeintlich niedrigen Lebewesen abgelesen hat. Die Kräfteversammlung und das unablässige Streben von Ameisen waren die Impulse, die Gido zu seiner ebenso körperhaften wie linearen Formgebung angeregt haben. Konturen des Insektenkörpers scheinen hier ebenso aufgegriffen zu sein wie Kraftlinien aus der Dynamik der körperlichen Bewegung im Überlebenskampf. Die keilförmige Gestalt repräsentiert den Vorwärtsdrang der Lebewesen, gleichzeitig wirkt der Bahnen gleiche Verlauf der Plastik wie ein von Querstreben gestütztes Gefäß, in dem das Insekt die Mittel für die Arterhaltung sichert. Die Form der Körpers wie auch das den Körper treibende dynamische Prinzip fließen in dieser „Treibkraft“ zusammen.

Gido verwendet für seine Skulpturen vorwiegend Holz, ein archaisches, ursprüngliches Material mit ablesbarem Eigenleben. In diesem Werkstoff ist Zeit vielschichtig eingeschlossen: Wachstum, Bewegung, organisch gewordene Form. Gegen die entfaltete Natürlichkeit des Holzstücks und zugleich mit ihr setzt der Künstler seinen eigenen kompositorischen Plan, der häufig einen dezidiert konstruktiven, der Collage nahen Charakter besitzt. Die Eingriffe prägen sich in die Oberflächen ein und setzen Dynamik gegen Statik. Schnittkerben und Sägespuren geben den Skulpturen eine individuelle Physiognomie, eine Geschichte und einen greifbaren Charakteristik.

Schlanke Figuren ruhen auf Sockeln. Imaginäre Architekturen schichten sich zu Stelen, die zugleich stille Achsen des Raums beschreiben wie auch konzentrierte reduzierte Körperlichkeit ausbilden. Archaik klingt nach, kritisch reflektierte Gegenwart beziehungsweise menschliche Eigenart werden häufig in Allegorien greifbar. In der Holzplastik „Kastendenker“ verweisen architektonische Elemente in einer figurativen Statue auf die im Titel angerissenen Eigenschaften. Ein Tunnelblick ist versinnbildlicht, im Zentrum des Körpers steht ein rasterhafter Block, der an Schubladen, an schematisch abgelegte Kategorien für die Weltsicht denken lässt.

Universelle und Epochen überdauernde Zeichen stehen neben Kommentaren zu aktuellen Krisen und Konflikten. Vergangenheit und Gegenwart ebenso wie verschiedene Kulturkreise sind in der Plastik „Volksempfänger“ miteinander verknüpft. Der Assoziationsraum ist über das historische deutsche Medium der Menschenverführung und -führung ausgedehnt auf die Wirkungsmechanismen von Religionen - wir können als Kopf der Skulptur eine Moschee erkennen - , auf populistische Parteien und Regime, die ihren Herrschaftsradius aktuell permanent ausdehnen.
In der formalen Engführung von Schallrichter und Ohr wird das Zusammenspiel von Sender und Empfänger sinnfällig. In sperrig spröder bildhauerischer Sprache wird die Reflexion über Herausforderungen und Verletzungen des Humanen entfacht, doch ins Zentrum der Wahrnehmung stellt sich das buchstäbliche Begreifen mit den Sinnen, nicht nur visuell sondern auch taktil wollen die plastischen Formulierungen erfasst werden.

Bemalung verleiht den Skulpturen zusätzliche Dramatik und hüllt sie in eine Haut als weitere Fläche für Zuschreibungen und Projektionen. Im Kern behalten Gidos Skulpturen eine ursprüngliche Einfachheit, die unter anderem auf eine lang währende Inspiration durch die afrikanische Plastik zurückgeht. Im roh behandelten, in Grundfarbigkeit gefasstem Holz klingen Ur-Erfahrungen und Ur-Instinkte nach, die wenig von ihrer Handlung steuernden und Empfindung prägenden Kraft verloren haben. Die Farbe Weiß, in vielen Arbeiten Abschluss der Skulpturen, verleiht den Arbeiten eine rätselhafte Blässe und dem plastischen Körper eine schwebende Immaterialität, legt spannungsvoll die Atmosphäre von Unberührtheit auf Narben und Schründe und weitet den Gedankenraum für den Betrachter.

Die fundamentalen Überlebensmittel Mystik und Spiritualität drücken sich am wirksamsten in ungeglätteter Leiblichkeit aus. Protagonisten werden von Gido in teils rätselhafte Szenen gestellt und auf labyrinthische Pfade geschickt. Das Wesen dieser Wanderer, Wege und Räume, der Charakter ihrer Expeditionen bleibt geheimnisvoll. Man muss sie körperlich durchleben. Somit fügt sich das Schaffen des Bildhauers zur fotografischen Arbeit von Steyer und Strasser, die ihrerseits mit der Anstiftung zu sinnlichem Erleben ausgetretene Pfade der Wahrnehmung verlassen wollen, ebenso malerisch wie analytisch, magisch wie erzählerisch. In Natur und Körper hat der Mensch schon immer Resonanzräume für seine Selbst- und Weltbefragungen, für seine Entwürfe und Visionen gefunden. Mit ihren spezifischen medialen Mitteln, ob historisierend oder technisch auf der Höhe der Zeit, knüpfen die hier versammelten Künstler daran an. Landschaft und Leib werden nichts an Aktualität einbüßen, solange der Mensch sein eigenes Sein in seinen Welten reflektiert.

Rainer Beßling